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Ich bin ein elender Mann, der die Rute seines Grimmes sehen muß.

Er hat mich geführt und lassen gehen in die Finsternis und nicht in Licht.

Er hat seine Hand gewendet wider mich und handelt gar anders mit mir für und für.

Er hat mir Fleisch und Haut alt gemacht und mein Gebein zerschlagen.

Er hat mich verbaut und mich mit Galle und Mühe umgeben.

Er hat mich in Finsternis gelegt wie die, so längst tot sind.

Er hat mich vermauert, daß ich nicht heraus kann, und mich in harte Fesseln gelegt.

Und wenn ich gleich schreie und rufe, so stopft er die Ohren zu vor meinem Gebet.

Er hat meinen Weg vermauert mit Werkstücken und meinen Steig umgekehrt.

10 Er hat auf mich gelauert wie ein Bär, wie ein Löwe im Verborgenen.

11 Er läßt mich des Weges fehlen. Er hat mich zerstückt und zunichte gemacht.

12 Er hat seinen Bogen gespannt und mich dem Pfeil zum Ziel gesteckt.

13 Er hat aus dem Köcher in meine Nieren schießen lassen.

14 Ich bin ein Spott allem meinem Volk und täglich ihr Liedlein.

15 Er hat mich mit Bitterkeit gesättigt und mit Wermut getränkt.

16 Er hat meine Zähne zu kleinen Stücken zerschlagen. Er wälzt mich in der Asche.

17 Meine Seele ist aus dem Frieden vertrieben; ich muß des Guten vergessen.

18 Ich sprach: Mein Vermögen ist dahin und meine Hoffnung auf den HERRN.

19 Gedenke doch, wie ich so elend und verlassen, mit Wermut und Galle getränkt bin!

20 Du wirst ja daran gedenken; denn meine Seele sagt mir es.

21 Das nehme ich zu Herzen, darum hoffe ich noch.

22 Die Güte des HERRN ist's, daß wir nicht gar aus sind; seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende,

23 sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.

24 Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen.

25 Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und der Seele, die nach ihm fragt.

26 Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen.

27 Es ist ein köstlich Ding einem Mann, daß er das Joch in seiner Jugend trage;

28 daß ein Verlassener geduldig sei, wenn ihn etwas überfällt,

29 und seinen Mund in den Staub stecke und der Hoffnung warte

30 und lasse sich auf die Backen schlagen und viel Schmach anlegen.

31 Denn der HERR verstößt nicht ewiglich;

32 sondern er betrübt wohl, und erbarmt sich wieder nach seiner Güte.

33 Denn er nicht von Herzen die Menschen plagt und betrübt,

34 als wollte er die Gefangenen auf Erden gar unter seine Füße zertreten

35 und eines Mannes Recht vor dem Allerhöchsten beugen lassen

36 und eines Menschen Sache verkehren lassen, gleich als sähe es der HERR nicht.

37 Wer darf denn sagen, daß solches geschehe ohne des HERRN Befehl

38 und daß nicht Böses und Gutes komme aus dem Munde des Allerhöchsten?

39 Wie murren denn die Leute im Leben also? Ein jeglicher murre wider seine Sünde!

40 Und laßt uns erforschen und prüfen unser Wesen und uns zum HERRN bekehren!

41 Laßt uns unser Herz samt den Händen aufheben zu Gott im Himmel!

42 Wir, wir haben gesündigt und sind ungehorsam gewesen; darum hast du billig nicht verschont;

43 sondern du hast uns mit Zorn überschüttet und verfolgt und ohne Barmherzigkeit erwürgt.

44 Du hast dich mit einer Wolke verdeckt, daß kein Gebet hindurch konnte.

45 Du hast uns zu Kot und Unflat gemacht unter den Völkern.

46 Alle unsre Feinde sperren ihr Maul auf wider uns.

47 Wir werden gedrückt und geplagt mit Schrecken und Angst.

48 Meine Augen rinnen mit Wasserbächen über den Jammer der Tochter meines Volks.

49 Meine Augen fließen und können nicht ablassen; denn es ist kein Aufhören da,

50 bis der HERR vom Himmel herabschaue uns sehe darein.

51 Mein Auge frißt mir das Leben weg um die Töchter meiner Stadt.

52 Meine Feinde haben mich gehetzt wie einen Vogel ohne Ursache;

53 sie haben mein Leben in einer Grube fast umgebracht und Steine auf mich geworfen;

54 sie haben mein Haupt mit Wasser überschüttet; da sprach ich: Nun bin ich gar dahin.

55 Ich rief aber deinen Namen an, HERR, unten aus der Grube,

56 und du erhörtest meine Stimme: Verbirg deine Ohren nicht vor meinem Seufzen und Schreien!

57 Du nahest dich zu mir, wenn ich dich anrufe, und sprichst: Fürchte dich nicht!

58 Du führest, HERR, die Sache meiner Seele und erlösest mein Leben.

59 Du siehest, HERR, wie mir so Unrecht geschieht; hilf mir zu meinem Recht!

60 Du siehst alle ihre Rache und alle ihre Gedanken wider mich.

61 HERR, du hörest ihr Schmähen und alle ihre Gedanken über mich,

62 die Lippen meiner Widersacher und ihr dichten wider mich täglich.

63 Schaue doch, sie sitzen oder stehen auf, so singen sie von mir ein Liedlein.

64 Vergilt ihnen, HERR, wie sie verdient haben!

65 Laß ihnen das Herz erschrecken, laß sie deinen Fluch fühlen!

66 Verfolge sie mit deinem Grimm und vertilge sie unter dem Himmel des HERRN.

Hoffnung in der größten Not

Seht mich an – wie viel Elend muss ich ertragen!
Ich bin der Mann, den Gott mit seiner Rute schlägt.
Voller Zorn hat er mich fortgejagt
und immer tiefer in die Finsternis getrieben.
Gegen mich sind seine Hiebe gerichtet,
den ganzen Tag trifft mich seine strafende Hand.
Davon bin ich abgemagert und krank geworden;
all meine Knochen hat er mir zerschlagen.
Bitteres Leid und Trauer haben mich überwältigt,
Gott selbst hat mich darin eingeschlossen.
In völliger Dunkelheit lässt er mich zurück,
als wäre ich schon lange tot.
Mit schweren Ketten hat er mich gefesselt
und mein Gefängnis mit hohen Mauern umgeben.
Wenn ich schreie und um Hilfe rufe,
so verschließt er sich meinem Gebet.
Wohin ich mich wende, jeder Weg ist versperrt –
Gott lässt mich nicht entkommen!
10 Er hat mir aufgelauert wie ein Bär,
wie ein Löwe in seinem Versteck.
11 Er hat mich vom Weg abgedrängt,
mich zerfleischt und hilflos liegen lassen.
12 Er spannte seinen Bogen
und zielte mit seinen Pfeilen auf mich.
13 Immer wieder griff er in seinen Köcher
und schoss mir mitten durchs Herz.
14 Mein Volk verlacht mich Tag für Tag,
sie singen Spottlieder auf mich.
15 Gott reicht mir bittere Kräuter zu essen
und füllt mir den Becher mit Wermut.
16 Er gibt mir Steine statt Brot,
er tritt mich tief in den Staub.
17 Was Frieden und Glück ist, weiß ich nicht mehr.
Du, Herr, hast mir alles genommen.

18 Darum sagte ich: »Meine Kraft ist geschwunden,
und meine Hoffnung auf den Herrn ist dahin.
19 Meine Not ist groß, ich habe keine Heimat mehr.
Schon der Gedanke daran macht mich bitter und krank.
20 Und doch muss ich ständig daran denken
und bin vor lauter Grübeln am Boden zerstört.«

21 Aber eine Hoffnung bleibt mir noch,
an ihr halte ich trotz allem fest:
22 Die Güte des Herrn hat kein Ende,[a]
sein Erbarmen hört niemals auf,
23 es ist jeden Morgen neu!
Groß ist deine Treue, o Herr!
24 Darum setze ich meine Hoffnung auf ihn,
der Herr ist alles, was ich brauche[b].
25 Denn der Herr ist gut zu dem, der ihm vertraut
und ihn von ganzem Herzen sucht.
26 Darum ist es das Beste, geduldig zu sein
und auf die Hilfe des Herrn zu warten.
27 Und es ist gut für einen Menschen,
wenn er schon früh lernt, Schweres zu tragen.
28 Wenn Gott ihm die Last auferlegt,
soll er es annehmen und nicht aufbegehren.
29 Demütig beuge er sich tief in den Staub,
vielleicht gibt es ja noch Hoffnung für ihn.
30 Wenn man ihn schlägt, soll er die Wange hinhalten
und die Demütigung still ertragen.

31 Denn wenn der Herr einen Menschen verstößt,
dann tut er es nicht für immer und ewig.
32 Er lässt ihn zwar leiden, aber erbarmt sich auch wieder,
denn seine Gnade und Liebe ist groß.
33 Wenn er strafen muss, hat er keine Freude daran,
sondern das Leid seiner Kinder schmerzt ihn auch selbst.

34 Es gibt so viel Unrecht in diesem Land:
Die Gefangenen werden mit Füßen getreten,
35 vor den Augen des höchsten Gottes
bringt man Unschuldige um ihr Recht.
36 Vor Gericht wird gelogen und betrogen –
meint ihr etwa, der Herr sieht das nicht?
37 Wer kann etwas geschehen lassen,
wenn der Herr es nicht befiehlt?
38 Alles Glück haben wir ihm zu verdanken,
und genauso kommt das Unglück aus seiner Hand.
39 Solange wir leben, brauchen wir uns nicht zu beklagen.
Sind es nicht unsere Sünden, für die Gott uns bestraft?
40 Kommt, wir wollen unser Leben sorgfältig prüfen
und wieder zurückkehren zum Herrn!
41 Ihm wollen wir unsere Herzen öffnen,
zu unserem Gott im Himmel die Hände erheben:
42 »Herr, wir haben gesündigt und dir die Treue gebrochen –
und das hast du uns nicht vergeben!
43 Stattdessen hast du dich in Zorn gehüllt,
du hast uns verfolgt und erbarmungslos getötet!
44 In einer dichten Wolke hast du dich verborgen,
kein Gebet konnte mehr zu dir durchdringen.
45 Du hast dafür gesorgt, dass die Völker uns wie Dreck behandeln,
zum Abschaum der Menschheit sind wir geworden.
46 Unsere Feinde stecken die Köpfe zusammen
und zerreißen sich das Maul über uns.
47 Angst und Schrecken haben uns gepackt,
überall erlebten wir Zerstörung und Tod.«

48 Mein geliebtes Volk ist dem Untergang nahe,
darum muss ich hemmungslos weinen.
49 Unaufhörlich fließen meine Tränen.
Ich werde so lange keine Ruhe finden,
50 bis der Herr vom Himmel herabschaut
und unser Schicksal endlich beachtet.
51 Mir bricht das Herz, wenn ich sehe,
wie es den Frauen in der Stadt ergeht.
52 Ich habe meinen Feinden nichts getan,
doch sie haben mich gefangen wie einen Vogel.
53 Sie stürzten mich lebend in einen Brunnen
und warfen Steine auf mich herab.
54 Das Wasser schlug über mir zusammen,
und ich dachte schon: »Das ist das Ende!«

55 Da schrie ich zu dir um Hilfe, o Herr,
tief unten aus der Grube flehte ich dich an,
56 deine Ohren nicht vor mir zu verschließen.
Und wirklich: Du hast mich erhört!
57 Als ich rief, kamst du mir ganz nahe
und sprachst: »Fürchte dich nicht!«
58 Herr, du bist für mich eingetreten
und hast mein Leben gerettet.
59 Du weißt, wie viel Unrecht ich erleiden musste.
Herr, schaffe du mir nun Recht!
60 Du kennst die Rachsucht meiner Feinde
und die Pläne, die sie gegen mich schmieden.
61 Herr, du hast gehört, wie sie mich schmähen,
ihre finsteren Intrigen sind dir nicht verborgen.
62 Tagein, tagaus verhöhnen sie mich,
immer ziehen sie über mich her.
63 Sieh sie dir an und hör doch die Spottlieder,
die sie von früh bis spät über mich singen!
64 Ich bitte dich: Vergelte es ihnen, o Herr!
Gib ihnen den gerechten Lohn für ihre Taten!
65 Lass ihre Herzen hart und verblendet sein,
ja, möge dein Fluch über sie kommen!
66 Verfolge sie, bis dein Zorn sie trifft,
und lass sie von deiner Erde verschwinden!

Footnotes

  1. 3,22 So nach einigen hebräischen Handschriften und alten Übersetzungen. Der hebräische Text lautet: Durch die Güte des Herrn sind wir noch nicht am Ende.
  2. 3,24 Wörtlich: der Herr ist mein Erbteil.